Von der Radeberger
Lehrmolkerei Heinrichsthal
zur ersten Camembert-Fabrik
Deutschlands
©Renate Schönfuß-Krause
unter der Rubrik Radeberg Persönlichkeiten --> Agathe Zeis
Erst-Veröffentlichung im Heft 22 / 2024 der Schriftenreihe "Radeberger Blätter zur Stadtgeschichte" als Leit-Artikel
Am 30. Oktober 2024 fand in der Stadtbibliothek Radeberg die feierliche Frauenorte-Tafeleinweihung zu Ehren von Agathe Zeis statt, die zahlreiche Besucher*innen anlockte. In entspannter Atmosphäre hieß die 1. stellv. Oberbürgermeisterin der Stadt, Ingrid Petzold, die Gäste herzlich willkommen. In ihrer Ansprache betonte sie die Bedeutung Agathe Zeis‘ für die Stadt und Region Radeberg. Der Landesfrauenrat Sachsen e.V. und das Projekt frauenorte sachsen wurden von Susanne Köhler, Vorsitzende des Landesfrauenrat Sachsen e.V., vorgestellt. Im Anschluss an die Begrüßungen hielt die Regionalhistorikerin Renate Schönfuß-Krause einen umfangreichen Vortrag über das Leben und die Errungenschaften der gewürdigten Frau. Sie schilderte eindrucksvoll, wie Agathe Zeis durch ihre Arbeit und ihr mutiges Engagement auf die lokale Industrie des 19. Jahrhunderts einen positiven Einfluss nahm. Die Zuhörer*innen lauschten gebannt dem außergewöhnlichen Leben Agathe Zeis‘. Die Veranstaltung endete mit der feierlichen Enthüllung der Tafel und einem geselligen Sektempfang, bei dem die Gäste die Möglichkeit hatten, sich auszutauschen und Frage zu stellen. Diese Tafel ist ab sofort im Bibliotheksgarten der Stadtbibliothek Radeberg, Hauptstr. 2 in 01454 Radeberg, zu finden. Mit der Tafel für Agathe Zeis wird das Frauenorte-Jahr 2024 beendet.
Text oben: https://landesfrauenrat-sachsen.de/frauenorte-sachsen/
Die Feierstunde mit dem Vortrag von Renate Schönfuß-Krause anlässlich der Einweihung der Ehrentafel für Agathe Zeis am 30. Oktober 2024 in der Stadtbibliothek Radeberg war gut besucht.
Foto: Katja Fissel
Links: Bericht der Heimatzeitung "die Radeberger"
vom 8. November 2024 (zur Vergrößerung bitte anklicken)
©Renate Schönfuß-Krause
Agathe Zeis (1840-1887)
Unternehmerin, Pädagogin, Pionierin der deutschen Camembert-Herstellung in Radeberg
Am 29. Mai 1840 als Tochter des Andreas Rudolf im Oschatzer Land geboren, entstammte Agathe Zeis einem alten Bauerngeschlecht. Nach ihrem Schulabschluss absolvierte sie auf dem Rittergut Naundorf bei Oschatz eine landwirtschaftliche Ausbildung und ging die Ehe mit dem Gutsinspektor Hermann Zeis ein. Von 1866 bis 1876 bewirtschafteten sie das gepachtete Oschatzer Postgut. Als 1876 die Milchzentrifuge erfunden wurde, erkannte Agathe Zeis, dass die bäuerliche Milchverarbeitung einer industriellen Verarbeitung der Produkte weichen würde und die neue Technik Fachwissen und Fachkräfte benötigt.
1877 erwarb Hermann Zeis das 57 Hektar große Radeberger Vorwerk „Heinrichsthal“ mit Gutsmolkerei, einer Ziegelei und dem Felixturm. Für Agathe Zeis wurde die Grundlage gegeben, eigene Visionen eines modernen, industriellen Betriebes der Milchwirtschaft und Käserei umzusetzen und entsprechend den Anforderungen der Zeit die Gründung der zweiten sächsischen Molkereischule zu planen, um entsprechend der Statuten junge Frauen aus der Landwirtschaft als Molkereifachkräfte auszubilden, ihnen eine Erwerbschance für Selbstständigkeit zu ermöglichen.
Am 1. Juli 1880 gründete sie als Vorsteherin die Lehrmolkerei Heinrichsthal bei Radeberg nebst Haushaltungsschule mit Pensionat zur Ausbildung der Töchter von Landwirten, aber auch für Hospitanten, die bald aus ganz Europa und den USA die Bildungsmöglichkeiten wahrnahmen. Für den theoretischen Unterricht hatte sie ein eigenes Lehrbuch unter dem Titel „Die Milch und die Butter“ handschriftlich erarbeitet. Es gilt als erstes Lehrbuch der frühen Milchindustrie Deutschlands.
1883 begab sie sich zu Studienzwecken in die Normandie. Ausgestattet mit Wissen um die französische Camembert-Herstellung, produzierte sie Ende 1883 diesen „König der Weißschimmelkäse“ als Erste im Deutschen Reich. 1884 erfolgte die Geltendmachung. Damit wurde die Lehrmeierei Heinrichsthal zum ersten deutschen Standort, an dem Camembert, später auch Brie und Neufchâtel, hergestellt wurden. Agathe Zeis war zur unumstrittenen Pionierin auf dem Gebiet der Forschung und erfolgreichen Herstellung von deutschem Camembert und Brie nach französischer Art aufgestiegen. Vielfache Ehrenpreise und Goldmedaillen des Milchwirtschaftlichen Vereins krönten ihre Produkte. König Albert I. von Sachsen ernannte sie zu seiner „Königlich Sächsischen Hoflieferantin“, ebenso Herzog Ernst II. (Sachsen-Coburg und Gotha).
Diese wirtschaftlichen Erfolge veranlassten Agathe Zeis, ab 1884 Kredite für Umbau und Neubau aufzunehmen, das Unternehmen mit Molkereien in Löbau, Bautzen und Hessen zu vergrößern und 1886 eine Musterkäserei aufzubauen. Sie folgte Juni 1887 einer Bitte von Landwirten zur Hilfe bei der Einrichtung von Molkereien in Nordamerika. Am 16. Dezember reiste sie mit ihrem Ehemann zu einem lang geplanten Erfahrungsaustausch zu Prof. Anderegg in die Schweiz.
Schwer erkrankt, verstarb sie auf dieser Reise am 27. Dezember 1887 im Inselspital von Bern im Alter von nur 47 Jahren.
Das Lebenswerk der Agathe Zeis, Gründerin der Molkerei Heinrichsthal, lebt weiter. Sie hatte die Grundlage für ein innovatives Unternehmen geschaffen, welches bis heute existiert und als „Heinrichsthaler Milchwerke GmbH“ mit zu den größten und erfolgreichsten Deutschlands gehört.
Autorin: Renate Schönfuß-Krause