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Westpakete und Weihnachten – diesen Duft konnte keine Grenze aufhalten… Weihnachtsgeschichte 2018
Westpakete und Weihnachten – diesen Duft konnte keine Grenze aufhalten… Westpakete waren Bindeglied zwischen Westdeutschland und der DDR - oder auch umgekehrt, der unnachahmliche Duft der Westpakete bleibt unvergessen. Weihnachtsgeschichte 2018
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Westpakete und Weihnachten -

diesen Duft konnte keine Grenze aufhalten...

 

Die Erinnerung an „Westpakete“, die jahrzehntelang für viele Menschen die fast einzige Kommunikation über Grenzen hinweg zwischen West- und Ostdeutschland ermöglichten, haben sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt. Mit diesen, besonders in der Weihnachtszeit erhaltenen Liebesgaben, verbinden sich bei vielen heute noch angenehmste Erinnerungen. Dabei hat sich etwas besonders tief eingeprägt und lebt in den Erzählungen weiter: Der einst so unvergleichliche Duft der Westpakete…

 

 

Lesen Sie unseren Weihnachtsartikel 2018!

Veröffentlicht in unserer Heimatzeitung

"die Radeberger" Nr. 51/2018  vom 21.12.2018,  Seite 19


Westpakete und Weihnachten - diesen Duft konnte keine Grenze aufhalten...

Die Erinnerung an „Westpakete“, die jahrzehntelang für viele Menschen die fast einzige Kommunikation über Grenzen hinweg zwischen West- und Ostdeutschland ermöglichten, haben sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt. Mit diesen, besonders in der Weihnachtszeit erhaltenen Liebesgaben, verbinden sich bei vielen heute noch angenehmste Erinnerungen. Dabei hat sich etwas besonders tief eingeprägt und lebt in den Erzählungen weiter: Der einst so unvergleichliche Duft der Westpakete…

Spendenaufruf 1914.  Quelle: Wikimedia gem.-frei
Spendenaufruf 1914. Quelle: Wikimedia gem.-frei

Weihnachtspakete zu versenden, war bereits seit dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) zu einer Tradition geworden. Unter dem Aufruf „Spendet Liebesgaben“ wurden bereits vor über 100 Jahren Sendungen von Hilfsgütern für die Soldaten an die Front verschickt. Geschenkpakete mit Lebensmitteln, Tabakwaren und Bekleidung, gesammelt und zusammengestellt von Hilfsorganisationen, Privatpersonen, Vereinen und Schulen, sollten die Stimmung der Soldaten und ihren Kampfgeist heben.

 

Eine Fortsetzung dieser Idee, in Notzeiten nicht wegzuschauen, sondern Menschen Hilfe und Unterstützung zu geben, auch über ehemalige Feindeslinien hinweg, setzte erneut nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) ein. Amerikanische Wohlfahrtsverbände gründeten 1945 die Hilfsorganisation C.A.R.E. (Cooperative for American Remittances to Europe). Im Rahmen dieses amerikanischen Hilfsprogrammes begann ab Juni 1946 eine beispiellose Hilfsaktion mit der Verteilung überlebenswichtiger CARE-Pakete an die hungernde Bevölkerung Europas. Diese Pakete mit Lebensmitteln, Trockenmilch, Schokolade und Bekleidung wurden in Deutschland in der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone verteilt und waren so zusammengestellt, dass ihr Inhalt, damals bereits nach Kalorien berechnet, eine Familie für einen Monat ernähren konnte, Leben rettete.

Die sowjetische Besatzungszone war von dieser Welle der Hilfslieferungen ausgeschlossen. Hier herrschten weiterhin unvorstellbarer Hunger und Not, noch bis in die 1950er Jahre hinein. Nur wer das seltene Glück hatte, nach dem Krieg in Kontakt mit einstmals ausgewanderten Familienangehörigen in den USA zu stehen, erhielt vielleicht von diesen Verwandten private Hilfspakete aus Amerika. Jedoch wurden derartige Kontakte argwöhnisch beobachtet und kontrolliert. Eigens dafür wurden, nach der Gründung der DDR 1949, durch die Bezirksdirektionen für Post- und Fernmeldewesen Zollstellen außerhalb des offiziellen Postbetriebes eingerichtet, wo diese amerikanischen Paketsendungen hingebracht, ausgepackt und sorgfältig auf mögliche Spionagehinweise kontrolliert wurden. Erst dann erhielt der Empfänger eine Benachrichtigung und konnte sein Eigentum abholen. Für den Raum Radeberg war diese spezielle Zoll-Kontrollstelle im Schloss Klippenstein eingerichtet worden.

Die „Zoll-Kontrollstelle“ 1950 im Schloss Klippenstein Radeberg. Links: Mitarbeiter und Lehrling vom Postamt Radeberg, rechts: Zoll-Beamte vom Zollamt Dresden mit ihrem „Paket-Transporter“ DKW F8.  Quelle: Sammlg. J. Wünsche
Die „Zoll-Kontrollstelle“ 1950 im Schloss Klippenstein Radeberg. Links: Mitarbeiter und Lehrling vom Postamt Radeberg, rechts: Zoll-Beamte vom Zollamt Dresden mit ihrem „Paket-Transporter“ DKW F8. Quelle: Sammlg. J. Wünsche

Da sich in Westdeutschland, durch die wirtschaftliche Hilfe des Marshall-Planes, bereits ab 1948 die Wirtschaftslage und die Lebensbedingungen für die Bevölkerung zu normalisieren begannen, wurde dieser wirtschaftliche Aufschwung zum Auslöser für eine zunehmende Abwanderung breiter Bevölkerungsschichten aus der sogenannten „Ostzone“ und späteren DDR in den Westen. Eine Fluchtbewegung begann -und damit die „Geburt des Westpäckchens“, denn diejenigen, die nun in der zunehmenden Überflussgesellschaft das sogenannte „Wirtschaftswunder“ erlebten, vergaßen zumeist nicht die Entbehrungen ihrer Verwandten und Freunde in der ehemaligen Heimat. Die weitere Teilung Deutschlands in zwei unterschiedliche deutsche Staaten schränkte auch zunehmend die Kontaktmöglichkeiten der Menschen ein, Privathaushalte hatten in der DDR kaum Telefonanschlüsse, und nach dem Bau der Mauer 1961 waren Verbindungen zwischen Ost und West lange Zeit fast nur noch auf dem Postweg aufrechtzuerhalten.

Die Deutsche Post erlebte von 1949-1989 eine bisher nie dagewesene Konjunktur, besonders in der Vorweihnachtszeit schrieb man sich Briefe und versandte private Weihnachtspäckchen in Größenordnungen. Allein auf dem Postamt Radeberg waren 11 Postzusteller mehrmals am Tag, immer zu Fuß, im Schichtdienst im Einsatz und selbst Heiligabend wurde die Post noch bis zum Abend ausgetragen. In den schneereichen Wintern der 1950/60er Jahre mussten, wegen Nichtbefahrbarkeit der Straßen, die Brief- und Paketsendungen durch die Radeberger Post mit Pferdeschlitten des Fuhrunternehmens Rudolf Beißert an die Poststellen der Nachbargemeinden zugestellt werden.

Dabei nahmen vor allem die Westpakete, abgesandt von Westdeutschen an ihre ostdeutschen Verwandten und Freunde, später auch durch Vertreter kirchlicher Einrichtungen und Vereine an Kontaktpersonen in der DDR, einen hohen Stellenwert ein. Westpakete wurden durchaus zu einem Politikum, denn ihr Inhalt spiegelte auf das Anschaulichste den Lebensstandard der im Westen lebenden Menschen wider und offenbarte den Empfängern im Osten sehr deutlich ihre zumeist bescheidenere Lebenssituation. Angeregt und gefördert wurden diese Aktionen in der BRD von dem „Büro für gesamtdeutsche Hilfe“ in Bonn, u.a. konnten westdeutsche Absender den Versand von Päckchen steuermindernd geltend machen.

Paket-Marke der Deutschen Bundespost, um 1952. Quelle: www.suevia-strassburg.
Paket-Marke der Deutschen Bundespost, um 1952. Quelle: www.suevia-strassburg.

Staatliche Organe der DDR versuchten zwar anfänglich, den Paketverkehr zu behindern, erkannten jedoch bald den unverzichtbaren Wert der Sendungen aus dem Westen als feste Planungsgröße für die Behebung eigener Mangelerscheinungen. Auf Grund des vorherrschenden Devisenmangels in der DDR, der besonders die Einfuhr von Kaffeebohnen, Kakaoerzeugnissen und Südfrüchten einschränkte oder teilweise unmöglich machte, wurden in Folge großzügigere Zollbestimmungen für den privaten Paketverkehr erlassen, um dadurch den Warenzuwachs von Kaffee und Kakaoerzeugnissen durch die Westpakete zu erhöhen. Diese Mengen wurden regelrecht volkswirtschaftlich eingeplant – eingeplant wurde damit auch, dass zumindest der Unmut der Westpaket-Empfänger über Versorgungslücken in Grenzen gehalten wurde…

Die schwierige Versorgungslage trat besonders dann prekär in Erscheinung, wenn man sich als Ostdeutscher für all die schönen Gaben aus dem Westen mit einem „Ostpaket“ an die Westverwandten revanchieren wollte. Da war zumeist guter Rat teuer. Das Geschenk des jährlich selbstgebackenen Stollens zeugte von wenig Einfallsreichtum, waren doch zumeist die Zutaten vorher aus dem Westpaketen gekommen. Geschenkideen mit weiteren regionalen Produkten erforderten gute Beziehungen zu Geschäftsinhabern - wichtigste Voraussetzung zum Erhalt der „Bückware“. Verkaufsstellen, wie das Radeberger Kunstgewerbe, waren mit gedrechselten Pyramiden und Weihnachtsfiguren Favoriten im Weihnachtsgeschäft, obwohl über deren weiteres Schicksal in westdeutschen Wohnzimmern, im Nachhinein, wenig löbliches bekannt wurde. Aber auch für den Erwerb des bei Westdeutschen durchaus beliebten „Radeberger Bitterlikör“, musste bei der Firma Richter, auf der Hauptstraße in Radeberg, für die Zuteilung je einer Flasche ein ausdauerndes in der Schlange stehen in Kauf genommen werden. Der „gelernte DDR-Bürger“ hatte es also gar nicht so leicht, seinen Westverwandten eine Freude zu bereiten.

Dafür war der Erhalt eines Westpäckchens zur Weihnachtszeit, versehen mit der Aufschrift: „Geschenksendung, keine Handelsware“ für viele ostdeutsche Familien ein absolutes Ereignis mit AHA-Effekt. Das Öffnen und Auspacken kam einem Zeremoniell gleich und erfolgte zumeist erst, wenn die ganze Familie um den Tisch versammelt war. Erst dann wurde es feierlich geöffnet, und der nun aus dem Westpäckchen herausströmende unvergleichliche Duft prägte ganze Generationen – ein Wohlgeruch, mit dem wir in der Erinnerung bis heute „den Westen“ verbinden, wo es offensichtlich damals all das gab, was wir nicht hatten und uns erträumten. Dieser Geruch, diese unnachahmliche Duftmischung aus Kaffeebohnen, Schokolade, Südfrüchten, Seife, Waschmitteln, Parfümerieproben, Zigaretten, Backzutaten, Nüssen und einer Vielzahl anderer Herrlichkeiten - das war für uns alle der Westen. Genau so stellten wir uns in unserem Hamsterrad diese Seite des Globus vor: Duftend, Glitzernd, Glücklich, wie es uns die ewig lachenden Gesichter auf den teilweise geschmuggelten Hochglanz-Zeitschriften vorgaukelten. Das Westpaket brachte mit seinem Duft, den seltenen Inhalten und den bunten Verpackungen unsere kleine Ost-Welt ordentlich durcheinander. Die „feine Seife“ wurde von den Hausfrauen sofort konfisziert und verschwand für unbekannte Zeiten zum Duften zwischen den Wäschestapeln in den Schränken, ebenso wurde die „Krönung von Jacobs“ sofort für die Festtage sichergestellt, denn dieses Pfund Kaffeebohnen kam einem kleinen Vermögen gleich und versprach den lang ersehnten Kaffeegenuss gegenüber den überteuerten DDR- Kaffeeprodukten Rondo und Mona, die Apfelsinen wurden aus dem bedruckten Seidenpapier befreit, das geglättet mit seinen Aufschriften zum Träumen von fernen, unerreichbaren Gestaden einlud und ebenfalls bis in alle Ewigkeit fein säuberlich aufgehoben wurde. Selbst geschälte Apfelsinenschalen wurden dann Weihnachten noch zum Raumspray umfunktioniert. Gebogen und gequetscht verströmten sie aus ihren nebelnden Poren den allerherrlichsten Geruch. Westpakete glichen Kultobjekten, denn so musste der ganze Westen riechen… und sicherlich auch so sein?

Paket-Kontroll- u. Verteilerstelle der Deutschen Post, um 1960. Sammlg. Schönfuß
Paket-Kontroll- u. Verteilerstelle der Deutschen Post, um 1960. Sammlg. Schönfuß

Dieser im Gedächtnis gespeicherte einzigartige Geruch besitzt auch heute noch, bei vielen ehemaligen DDR-Bürgern, einen hohen Erinnerungswert. Jedoch belegen jüngste Studien ein neues Phänomen: Tüftler versuchen jetzt, fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, genau diesen Duft der Westpakete nostalgisch zu kreieren, ob nun als ein die Sinne betörendes Duschbad, Sauna-Konzentrat oder als Raumspray. Das ist durchaus verblüffend, dass auch die jüngere Generation zunehmend auf der Suche nach diesem Dufterlebnis ist, erfüllt von einer Welle unerklärlicher Sehnsucht nach diesem einzigartigen Geruchsgemisch, das sich später auch in den Intershop-Niederlassungen fortsetzte. Denn auch in diesen, von besonders witzigen Zeitgenossen als „Westpakete mit Türen“ charakterisierten Einkaufsstätten, wo privilegierte Ostbürger gegen Westgeld oder umgetauschte Forum-Schecks Westprodukte kaufen durften, war dieser Duft allgegenwärtig. Hier konnte allerdings jeder den Duft der großen weiten Welt gratis erschnüffeln, auch wenn er keine Westbeziehungen, keine Westpakete und auch kein Westgeld besaß.

 

Zumindest der Duft war frei und grenzenlos… Und die Gedanken.

 

 

Eigentlich gehört das Thema „Westpaket“ heute der Vergangenheit an, abgeheftet in den Aktenordner der Zeitgeschichte. Es lohnt jedoch durchaus, über diesen Zeitabschnitt nachzudenken, über die Beweggründe des damaligen Zusammenhaltens über Zonengrenzen hinweg, die Ziele verschiedener Initiatoren, über die Absender, die Empfänger, erfüllte oder unerfüllte Träume…Westpakete, die „Päckchen von drüben“, waren jahrzehntelang ein verbindendes Glied zwischen Ost und West.

 

Jetzt sind wir alle der „Westen“, sicherlich riecht es auch um uns herum überall nach Westen, aber daran haben sich unsere ehemaligen Ost-Nasen auf dem Weg der allgemeinen Anpassung zur West-Nase längst gewöhnt, und wir können den betörenden Duft, der uns einst glücklich machenden Westpakete, leider nicht mehr erschnuppern.

 

Schade darum, aber man kann eben nicht alles haben!

 

 

Ein frohes Weihnachtsfest!

 

©Renate Schönfuß – Krause

 

 

Quellen:

Eigenes  Archiv Schönfuß,

Joachim Wünsche: Erinnerungen als Auszubildender 1949-1952 am Postamt Radeberg