Veröffentlicht in "die Radeberger" Nr. 13 v. 29.3.2018
Lächelnde lila Oster-Hasen in überfüllten Osterregalen der Supermärkte, mit dem zarten Schmelz feinster Schokolade und Kreationen von Schokoladen-Ostereiern mit ausgesuchten Füllungen, die kennt wohl fast ein jeder. Aber Ostermädchen oder Osterjungen? Fehlanzeige. Das sind zumeist Begriffe, die uns verlorengegangen sind. Obwohl sie auf das engste mit unserem kulturellen Erbe zusammenhängen und an Zeiten erinnern, wo die allermeisten Menschen von unserem heutigen Wohlleben, mit all den erreichbaren Genüssen, weit entfernt waren. Das betraf auch ganz besonders die Kinder und Jugendlichen, die zumeist, sobald sie die Volksschule mit 14 Jahren abgeschlossen hatten, als „Ostermädchen“ oder „Osterjunge“ in der Landwirtschaft arbeiten mussten, um ihren Teil zum Unterhalt der elterlichen Familie beizutragen. So auch in Lotzdorf.
Ostern und das Osterfest war für die Kinder und Jugendlichen der Höhepunkt des Jahres, denn früher endete die gesetzliche Schulzeit nicht im Sommer, so wie heute üblich, sondern kurz vor Ostern. Es gab öffentliche Osterprüfungen an den Volksschulen, die Lehrer vergaben Zensuren und Einschätzungen, der Superintendent von Radeberg führte in dieser Zeit seine obligatorischen Schul-Examina durch, und dann folgten die lang herbeigesehnten Osterferien. Nach Ostern begann das neue Schuljahr, es erfolgte die Einschulung der 6-jährigen, und für die älteren Schüler begann erneut der Schulunterricht in der nächst höheren Klasse, natürlich nur, wenn sie versetzt worden waren. Das Schuljahr war immer in ein Sommersemester von Ostern bis Michaelis (29. Sept.) unterteilt und in ein Wintersemester, nach Michaelis bis vor Ostern.
Ein besonderer Wendepunkt in ihrem Leben war die Osterzeit jedoch für diejenigen Schulabgänger, die mit 14 Jahren ihre gesetzlich vorgeschriebene achtjährige Volksschulausbildung abschließen konnten und aus der Volksschule entlassen wurden. Damit erhielten sie die Bezeichnung „Ostermädchen“ oder „Osterjungen“. Ein fest eingebürgerter Begriff für Schulabgänger vom letzten Ostern. Die Beendigung der Volksschule ging außerdem immer einher mit der Konfirmation. Dieser Brauch hatte sich herausgebildet, da die Kirche über Jahrhunderte hinweg für das Schulwesen und die Schulaufsicht zuständig gewesen war. Das blieb auch so, obwohl bereits 1835 mit dem ersten sächsischen Schulgesetz die Schulen den Gemeinden unterstellt und ab 1919 die Schulaufsicht an den Staat übertragen wurde. Ab diesem Jahr 1919 wurde in dem durch viele Arbeiter geprägten Dorf Lotzdorf die Jugendweihe als Alternative zur Konfirmation eingeführt.
Die Konfirmation, die zumeist am Sonntag Palmarum vor Ostern erfolgte, nachdem die Katechismus-Prüfung abgelegt worden war, wurde als Übergang in das Erwachsenenalter angesehen. Ein Höhepunkt für die Jugendlichen, traten sie doch damit in das kirchliche Leben als mündige Kirchenmitglieder ein und durften am Abendmahl teilnehmen. Der gleichzeitige Abschluss der Volksschule rundete diesen Höhepunkt als „fast“ Erwachsene ab. Von nun an waren sie mit 14 Jahren berechtigt, mit Zustimmung ihrer Eltern in Dienstverhältnisse einzutreten.
Die wenigsten hatten von ihrer Herkunft her die Chance, eine weiterführende höhere Schule zu besuchen. Im damaligen Agrarland Sachsen des 18./19.Jahrhunderts waren Lehrberufe fast unüblich, und so konnten die Ostermädchen und -jungen nach den Osterferien nur als billige Arbeitskräfte in „Dienst gehen“. Zumeist auf größere Bauernhöfe oder Güter, wo sie für ein Jahr Anstellung fanden. Die Zeit war günstig, die Frühjahrsbestellung der Felder war in vollem Gange, und für die Arbeiten in Haus, Hof und auf den Feldern wurde jede Arbeitskraft benötigt. Dabei ist interessant, dass die Lotzdorfer Ostermädchen und Osterjungen, die zumeist aus Lotzdorfer und Liegauer Häusler- oder Arbeiterfamilien abstammten, ihren Dienst nicht nur in Lotzdorf fanden, sondern auch in Ullersdorf, Radeberg, Wachau, Langebrück, Seifersdorf, Lomnitz und Fischbach. Lotzdorf war offensichtlich zum größten Teil bereits durch die Hoferben der Bauerngüter „besetzt“.
Im 19. und bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war es bei vielen ärmeren Familien, mit ihrer zumeist auch zahlreichen Kinderschar, ein langersehnter Moment, wenn die nun 14-jährigen endlich als „Ostermädchen“ oder „Osterjungen“ eine Anstellung fanden, in einen Broterwerb eintraten und etwas für den mageren Haushalt der Familien beisteuern konnten. Wenn sie in „Dienste“ gingen, wurde die Familie von einem „Fresser mehr“ entlastet, denn sie blieben dann in Kost und Logis auf dem Bauernhof. Die Not und Armut war bis in die 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts groß.
Was es für die zumeist noch kindlichen 14-jährigen bedeutete, als Ostermädchen oder Osterjunge „in Dienst“ zu gehen, allein auf sich gestellt ihr Heimatdorf verlassen zu müssen, die Eltern und Geschwister, ist von einigen wenigen Zeitzeugen überliefert. Zumeist fanden sie ihren Dienst auf einem größeren Bauernhof, wo sie mit ihrem gepackten Bündel ihrer wenigen persönlichen Habseligkeiten hinlaufen mussten, üblicherweise barfuß oder mit Holzpantinen, was aber schon Luxus bedeutete. Von ihrer Gemeindeverwaltung hatten sie ein Gesinde-Zeugnis-Buch ausgestellt bekommen, eine Art Steckbrief mit allen persönlichen Daten, zusätzlich einer ärztlichen Bescheinigung über ihre Diensttauglichkeit und ihr Schulzeugnis. Der Dienstherr war wiederum verpflichtet, am Ende der festgelegten Beschäftigungszeit ein Zeugnis auszustellen, das dann wieder bei der Gemeinde und dem nächsten Dienstherrn vorgelegt werden musste.
Die Arbeit auf den Bauernhöfen war von jeher eine schwere körperliche Belastung. Früh am Morgen, um 4 Uhr begann der Arbeitstag mit der Versorgung des Viehbestandes, dem Einfahren von Futter auf Pferdefuhrwerken von Feld und Wiese auf den Hof. Erst danach wurde gemeinsam in der Gesindestube gefrühstückt. Jeder hatte am Tisch, entsprechend seiner Rangordnung, seinen angestammten Platz. Der Bauer war der Herr, ihm unterstand der Großknecht, der wiederum die Knechte und den Osterjungen zur Arbeit einteilte. Die Bauersfrau hatte die Wirtschaft in ihrem Haus unter sich, das Kochen und Backen, die Übersicht über die Verwertung der Nahrungsmittel, die Großmagd hatte die Befugnisse über die Mägde und das Ostermädchen. Gegessen wurde gemeinsam aus einer großen Schüssel in der Mitte des Tisches. Die Schlafkammern des Gesindes befanden sich im Haus. Von einem langen Flur aus gingen die Kammern der Mägde- und Knechte ab. Da sie über den Ställen gelegen waren, sparte man die Heizung. Zumeist schliefen mehrere Personen gemeinsam in einer Kammer, als einziges Mobiliar waren Betten mit Strohsäcken vorhanden. Die Arbeitstage waren für alle schwer und unendlich lang, besonders in der Erntezeit. Die Arbeitswoche hatte 6 Tage zu täglich 12 Stunden Arbeitszeit, der Stundenlohn für Ostermädchen und -jungen betrug im Jahr 1908 3 Pfennige/ ein Wochenlohn von 2,16 Mark.
Die Bezeichnung „Osterjunge“ verlor sich nach und nach mit der Industrialisierung. Schulabgänger suchten nun andere Arbeitsmöglichkeiten in der Industrie, erlernten einen Beruf, oder waren ungelernte Arbeiter. Für Mädchen, für die man ja das Weltbild der verheirateten, häuslichen Ehefrau und Mutter vorgesehen hatte, war das zumeist nicht möglich – ihr „Ostermädchen-Dasein“ ging nach einem Jahr in das Dienstmädchen-Dasein über, in der Hoffnung, durch Heirat endlich „Erlösung“ zu finden. Dienstmädchen gab es noch bis Anfang des Zweiten Weltkrieges, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in gehobeneren Haushalten der Oberschicht.
Renate Schönfuß-Krause / Lotzdorf-Historikerin
März 2018