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Lotzdorf - Radeberg, Vereinigung, Einverleibung 1920
Lotzdorf - Radeberg, Vereinigung, Einverleibung 1920
Vereinigung vor 100 Jahren, 20200107 f.
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Lotzdorf - Radeberg, Vereinigung, Einverleibung 1920

Vor 100 Jahren – als die Lotzdorfer Einwohner
am 1. Januar 1920 zu Bürgern von Radeberg wurden
 


Hier das 2019 aufgenommene Video „Schöne Heimat - Lotzdorf von oben gesehen“ 

Luftaufnahmen: Gunnar Richter

Schnitt/Grafik: teamwork-schoenfuss

 

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Der "Lotzdorfer Zacken", hier im Luftbild grün unterlegt, ragt weit in die Radeberger Gemarkung hinein.
Der "Lotzdorfer Zacken", hier im Luftbild grün unterlegt, ragt weit in die Radeberger Gemarkung hinein.

Das 1341 urkundlich erstmals erwähnte Lotzdorf stellte schon immer als Nachbarort Radebergs eine Besonderheit dar, ragte doch die Lotzdorfer Flur mit ihrem „Scharfen Zacken“ von jeher tief in Radeberger Gebiet. Der bisher immer selbständige Gemeindeverband samt seinem Flurbezirk musste also Begehrlichkeiten wecken. Mit zunehmender Ausbreitung Radebergs und seiner Bebauung der Flur in Richtung Lotzdorf und Wachau blieb es nicht aus, dass es immer wieder zu Streitigkeiten über die Rechtsverhältnisse an den Grenzstraßen Radebergs und der Gemeinde Lotzdorf mit ihrem „Scharfen Zacken“ kam. Dieser unsichtbare Grenzverlauf verlief auf der Mitte der Badstraße und Friedrichstraße und teilte diese zwei Straßen, mit der jeweiligen angrenzenden Flur auf der rechten oder linken Seite, in Radeberger und Lotzdorfer Zugehörigkeit. Die durch die Bebauung nicht mehr sichtbaren Abgrenzungen der zwei Gemeinden voneinander sowie auch ökonomische Gesichtspunkte führten zu den Bestrebungen einer Vereinigung, die am 1. Januar 1920 vollzogen wurde. Die Schönheit des eigenwillig gelegenen Dorfes, das sich von der Röderaue zum ehemaligen Sandberg in einer Senke schmal hinaufzieht und mit seiner Gemarkung Lotzdorf bis zur Dresdner Heide reicht, konnte in seiner Ursprünglichkeit auch nach der Vereinigung erhalten werden. 

Erstmalig, anlässlich dieses 100-jährigen Jubiläums, können Sie auf unserem extra zu diesem Anlass hergestellten Film mit einem Rundflug von oben diese schöne, unmittelbare Heimat aus einer ganz anderen Sicht, eingebettet in eine grüne Naturoase, betrachten.

Klicken Sie einfach auf das Film-Vorschau-Bild am Anfang dieses Artikels.   

 

Die Vereinigung - Ein besonderer Jahreswechsel 1919 zu 1920  

Die „Radeberger Zeitung“ gibt einen Einblick in damalige Verhältnisse zum Jahreswechsel 1919/1920, der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg: Einstellung der Gasversorgung, Kohlelieferungen blieben aus, Ausfall von Zügen, Steigen der Brotpreise, Sonderverteilung von Feldzwiebeln auf Nährmittelkarten, Verkauf von Speisekartoffeln auf Kartoffelkarten, Bekanntgabe der Aufhebung des sächsischen Belagerungszustandes, Neujahrswünsche verbunden mit der Hoffnung der baldigen Rückkehr der Söhne des Volkes aus der Gefangenschaft und schließlich Schilderungen der Neujahrsnacht, die gezeichnet von den Sorgen des Alltags war, in der viele nur im Silvestergottesdienst der Radeberger Kirche Trost fanden. Zwischen all diesen Meldungen findet sich auch der Eintrag der Schlagzeile, die von besonderer Bedeutung für die Einwohner Lotzdorfs war: Lotzdorf wird zu Radeberg am 1. Januar 1920 einverleibt.

Lotzdorf - Radeberg Einverleibung / Vereinnahmung. Radeberger Zeitung vom 3. Januar 1920 mit der offiziellen Bekanntmachung.
Lotzdorf - Radeberg Einverleibung / Vereinnahmung. Radeberger Zeitung vom 3. Januar 1920 mit der offiziellen Bekanntmachung.

Genau vor 100 Jahren war es also soweit - der 1. Januar 1920 war der Tag, an dem „die Vereinigung“ von Lotzdorf mit Radeberg stattfand, die im Sinne des deutschen Kommunalrechts und dem damals noch üblichen alten Sprachgebrauch als „Einverleibung“ bezeichnet wurde, was jedoch keiner Eingemeindung gleichkam. Deshalb hat das ehemalige Dorf Lotzdorf auch keine eigenen Ortseingangs- und Ausgangs-Beschilderungen mit seinem einstigen Namen, keinen Ortsvorstand und Gemeinderat mehr, sondern das bis Ende 1919 immer eigenständig gewesene Dorf wurde zu einem Stadtteil Radebergs, mit allen Rechten und Pflichten der Bürger. Damit wurde Lotzdorfs Einwohnerschaft am 1.Januar 1920 zu Bürgern Radebergs, die nicht unerhebliche Lotzdorfer Flur wurde Radeberger Stadt-Gebiet, der eigene Flurbezirk (Gemarkung) Lotzdorf blieb aber erhalten. Einzige Ausnahme bildete auch hier wieder der im Dorf befindliche Freigutsbezirk des Lotzdorfer Freigutes Maschke, dessen juristisch selbständiger Gutsbezirk nicht unter den Beschluss der Einverleibung Lotzdorfs fiel.

 

1919 - Eine Gemeinde musste sich entscheiden… 

Die Gemeinde Lotzdorf befand sich in einer höchst ungünstigen Lage. Sie hatte sich, durch ihre unmittelbare Nähe zu der aufstrebenden Industriestadt Radeberg, aus einer ehemaligen Bauerngemeinde mehr und mehr zu einer Industriearbeiter-Gemeinde gewandelt, deren Verwaltung schwieriger war als die einer üblichen Landgemeinde. Deshalb ging diesem Schritt der Vereinigung mit Radeberg auch ein längerer Prozess des Abwägens und Verhandelns voraus. Der Gemeinderat Lotzdorf, unter Vorsitz von Richard Pietzsch, machte sich den Entschluss nicht leicht, die über Jahrhunderte währende Eigenständigkeit des Dorfes, mit seiner seit dem 25. März 1839 auf der Landgemeindeordnung beruhenden selbständigen Verwaltung, einfach so aufzugeben. Ein bereits ab 1. Juli 1919 von dem Stadtrat Radeberg angestrebter Vereinigungstermin verzögerte sich deshalb. Erst der Druck der unübersichtlichen politischen Situation, die nach Ende des Ersten Weltkrieges 1918 verstärkt zunahm, die gesamte Unsicherheit der politischen und wirtschaftlichen Lage des Jahres 1919, der katastrophale Absturz der Mark auf den internationalen Devisenmärkten und nicht zuletzt der sich als fordernde Kraft formierende Druck der Lotzdorfer Arbeiterschaft, die einen Arbeiterrat gegründet hatte, führten zu einem Umdenken. Überall erscholl der Ruf nach Veränderung und Aufbruch nach diesem Krieg, auch in Lotzdorf. Ein Großteil der Arbeiter war in Radeberger Industriebetrieben beschäftigt, viele sozialdemokratisch organisiert, die nun den Zusammenschluss anstrebten. Als dieser schließlich auch vom Dresdner Kreisausschuss genehmigt wurde, da das territoriale Zusammenwachsen der beiden Gemeinden durch die Bebauung der Friedrich- und Badstraße schon längst vollzogen worden war, stand der Vereinigung nichts mehr im Wege.

Lotzdorf zieht sich von der Röder-Aue bis zum Sandberg östlich der Badstraße. Vorn rechts die „Rasenmühle Lotzdorf“, rechts oben der Schafberg mit dem Friedhof im Hintergrund..  Foto: G. Richter
Lotzdorf zieht sich von der Röder-Aue bis zur Höhe des ehem. Sandberges östlich der Badstraße. Vorn rechts die „Rasenmühle“, rechts oben der Schafberg mit dem Friedhof im Hintergrund. Foto: G. Richter

Der Lotzdorfer „Scharfe Zacken“ am Sandberg - eingearbeitet in den Stadtplan Radeberg 1936 (Grün: Lotzdorfer Flur).
Die Spitze des Zackens gehörte bis 1879 zu Lotzdorf und wurde von der Stadt Radeberg zum Bau des Kriegerdenkmals aufgekauft. Die neue Flurgrenze wurde als Verlängerung der (später ausgebauten) Weststraße festgelegt. Da die Weststraße im Zuge der damaligen langfristigen Verkehrswege-Planung „Nördliche Umgehung Radeberg“ verlängert werden sollte, blieben diese Flurstücke bis in die 1970er Jahre unbebaut.      

 

Vorteile waren unübersehbar - es konnte nur Gewinner geben

Radeberg hatte im Jahr 1920 14.500 Einwohner und Lotzdorf 1.600 (1.800?). Es war also für Radeberg durchaus ein Zugewinn und eine Vergrößerung an „Land und Leuten“, denn der Flurbezirk Lotzdorfs war nicht unerheblich. Die Radeberger Zeitung vom 3. 1 1920 resümierte deshalb ganz richtig:

„Für Radeberg bedeutet der 1. Januar 1920 einen Markstein in der Geschichte der Stadt. Die Einverleibung bringt ihr neben erheblichen Gebietszuwachs einen Zugang von über 1600 Einwohnern, der auch für ihre Stellung unter den sächsischen Städten von großer Bedeutung ist.“

Für die Gleichstellung zwischen Lotzdorf und Radeberg wurde die Vereinbarung getroffen, dass aus Lotzdorf ein zu wählender Stadtrat und vier Stadtverordnete in die Kollegien der Stadt Radeberg eingegliedert werden sollten. Außerdem verpflichtete sich die Stadtverwaltung Radeberg dazu, im Stadtteil Lotzdorf eine besondere städtische Zweigstelle für geschäftliche Erledigungen innerhalb des Stadtteils Lotzdorf zu errichten, insbesondere für das polizeiliche Meldewesen.

Bei Sichtung des Aktenmaterials der Verhandlungen im Vorfeld der Vereinigung und der Einsicht in das „Ortsgesetz über die Vereinigung der Landgemeinde Lotzdorf mit der Stadt Radeberg“ kann heute noch eingeschätzt werden – dieser Schritt der Vereinigung war richtig und auch nützlich. Beide Seiten begegneten sich durchaus auf Augenhöhe, und wenn auch manch Lotzdorfer verständlicherweise seiner bisher selbständigen Heimatgemeinde nachtrauerte, waren dennoch bald die Vorteile sichtbar, die er nun als Bürger eines größeren Gemeinwesens in Anspruch nehmen konnte, denn die Radeberger Stadtverwaltung verfolgte auch damals schon große Ziele.

 

5. Januar 1920 – Das Wohl der Gemeinde Radeberg ist auch das von Lotzdorf  

Die erste gemeinschaftliche Rats- und Stadtverordneten-Sitzung am 5. Januar 1920 wurde durch den Bürgermeister, Geh. Regierungsrat Dr. Bose, eröffnet, der die Herren begrüßte und vorstellte, die durch die Einverleibung Lotzdorfs neu in die städtischen Kollegien eintraten und noch vom Gemeinderat Lotzdorf gewählt worden waren: Artur Richter, Oskar Berger, Georg Polter, Richard Pietzsch und Emil Schramm. 

In feierlicher Form erklärte der Bürgermeister, dass er nun die Geschäfte der Gemeinde Lotzdorf auf den Stadtrat zu Radeberg überträgt, und er bedankte sich über den Verwaltungszustand der ihm übergebenen Verwaltungsakten, die dem bisherigen Gemeinderat alle Ehre machten, der seit 15 Jahren durch Richard Pietzsch als Gemeindevorstand vertreten wurde. Vor ihm waren schon sein Vater und Großvater in diesem Amt. Richard Pietzsch gab bekannt, dass die Gemeinde Lotzdorf mit einem Vermögen von 60.000 Mark und ca. 20.000 Mark Verbindlichkeiten in die Stadt Radeberg eintritt. Es wurde Lotzdorf mit seinen städtischen Neu- Bürgern ab 1. Januar 1920 vertraglich zugesichert, dass sie nun in die Versorgung mit Wasser, Gas und Elektrizität einbezogen würden, dass das Schulwesen durch die Einverleibung nach Radeberg viele Vorteile mit sich bringen würde, dass weiterhin auch auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft Rücksicht genommen werde, weiterhin wurde der seit 1901 bis 1919 selbständige Standesamtsbezirk Lotzdorf wieder Radeberg zugeführt und das der Gemeinde gehörende und im Gemeindeeigentum befindliche Armenhaus ging ebenfalls an die Stadt Radeberg als „Eigentümer“ über. Nichts wurde vergessen, und auch die ehemaligen Rechtsverhältnisse an den Grenzstraßen Radebergs und der Gemeinde Lotzdorfs mit dem „Scharfen Zacken“, zwischen Friedrichstraße und Badstraße, wurden aufgehoben. Die Lotzdorfer Feuerwehr samt ihrer Feuerwehrspritze konnte als Abteilung der Radeberger Feuerwehr aus Sicherheitsgründen in Lotzdorf verbleiben. Weiterhin wurde durch den Stadtrat festgeschrieben, dass in Lotzdorf, nach Liegau zu, eine steinerne Röderbrücke errichtet werden sollte, u. a. m. 

 

Die Auflösung und das Ende der selbständigen Gemeinde Lotzdorf

„Die politische Gemeinde Lotzdorf wird unter Auflösung ihres bisherigen selbständigen Gemeindeverbandes samt ihrem Flurbezirke dem Stadtgemeinde- und Flurbezirk Radeberg am 1. Januar 1920 einverleibt und bildet von da ab einen Teil der Stadtgemeinde Radeberg.“  

So lautet der § 1 des „Ortsgesetzes“. Damit war die politische Gemeinde Lotzdorf erloschen. Bereits im Dezember 1919 war durch die Stadtgemeinde Radeberg mit dem Lotzdorfer Gemeindevorstand Richard Pietzsch ein Vertrag unterzeichnet worden, in dem ihm mit dem Tage der Einverleibung seine Übernahme als städtischer Beamter zugesichert wurde, mit Pensionsanspruch und einem Anfangsgehalt von 4.200 Mark. Außerdem wurde ihm zugestanden, dass er nach der Übernahme in den städtischen Dienst weiterhin den Vorsitz im Vorstand der „Allgemeinen Ortskrankenkasse für Lotzdorf und Umgebung“ sowie der „Landkrankenkasse für Lotzdorf und Umgebung“ beibehalten konnte, ebenfalls wurde ihm die weitere Bewirtschaftung des ihm gehörigen Gutes zugestanden.

Nach der Ratssitzung am 5. Januar 1920 fand anlässlich der Einverleibung der Gemeinde Lotzdorf eine Feier statt, für die ein „Berechnungsgeld“ bis 1.000 Mark bewilligt worden war…

 

Damit wurden die Lotzdorfer Gemeindebücher geschlossen.

 

 

©Renate Schönfuß-Krause                                     

Lotzdorf- Historikerin

 

Januar 2020

 

Quellen: 

·    Stadtarchiv Radeberg: Gemeindebücher Lotzdorf 1839-1919

·    Stadtarchiv Radeberg: Radeberger Zeitung v. 17.12.1919/ 24.12.1919/ 1.1. 1920

·    Ortsgesetz über die Vereinigung der Landgemeinde Lotzdorf mit der Stadt Radeberg

·    Ingo Engemann: Luftbild „Lotzdorfer Zacken“

·    Gunnar Richter, Klaus Schönfuß: Video „Schöne Heimat - Lotzdorf von oben gesehen“