Veröffentlicht in "die Radeberger" Teil 1 Nr. 15 v. 15.04.2016
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Nah beieinander - ein fast vergessenes Denkmal in Lotzdorf
und ein Kult-Song
In Lotzdorf liegt alles dicht beieinander - Vergangenheit und Gegenwart. Besonders sichtbar wird das auch im Umfeld der Lotzdorfer Ludwig-Richter-Schule. Ein gebürtiger Lotzdorfer erinnerte sich, dass er, „als er noch ein junger Bursche war“, mit anderen seiner Altersgruppe, gleich hinter der Schule öfter Fußball gespielt hatte und dass es dort ein Krieger-Denkmal für die gefallenen ehemaligen Turner des Ortes Lotzdorf aus dem Ersten Weltkrieg gegeben hätte. Ob das Denkmal noch existierte, war unbekannt, da in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten umfangreiche Baumaßnahmen stattgefunden hatten, als die Ludwig-Richter-Schule ihr heutiges, moderneres Aussehen bekam und dazu noch eine großzügige neue Turnhalle.
Eine Begehung ergab nach einigem Suchen vor Ort: das Denkmal existierte noch. Etwas abseits, an der Grundstücksgrenze, war es offensichtlich aus dem Blickfeld und damit fast in Vergessenheit geraten, denn in der „Liste von Radeberger Denkmalen“ in Wikipedia war es bis Anfang März 2016 weder verzeichnet noch abgebildet worden.
Der Ort der Aufstellung des Denkmals um 1920, in unmittelbarer Nähe der damaligen Lotzdorfer Schule, war bewusst gewählt worden. Lotzdorf konnte schon von jeher auf eine große Turner-Tradition mit einer Riege von engagierten Mitgliedern verweisen, die im „Deutschen Turnerbund“ organisiert waren. Auch die Schule sah sich dieser Tradition verpflichtet, die auf Ideen des Pädagogen Friedrich Ludwig Jahn, besser bekannt als Turnvater Jahn (1778-1852), zurückgingen. Er war der Gründer der Turnbewegung in Deutschland. Seine Forderungen, Gymnastik für die Jugend zur Körperertüchtigung gegen den physischen Verfall einer sich modernisierenden Gesellschaft einzusetzen, durch gezielte Leibesübungen an von ihm entwickelten Turngeräten, wie dem Barren und Reck, Gesundheit, Kraft, Mut und Durchhaltevermögen zu stählen und damit die Jugend zu Patrioten zu erziehen, die sich für die Befreiung des Vaterlandes von der napoleonischen Unterdrückung einsetzen sollten, wurden auch frühzeitig in Lotzdorf zum Leitbild. Nach anfänglichen Verboten und Schwierigkeiten in Deutschland wurde das Turnen ab 1840 in einigen deutschen Staaten erstmalig als Schulfach zugelassen. Damit war der Startschuss gefallen für die „Körperertüchtigung für Jedermann“, und es entstand eine breite Turnerbewegung. Friedrich Ludwig Jahn hatte 1816 sein Lehrbuch „Die deutsche Turnkunst“ veröffentlicht. Der von ihm in diesem Werk für die Turnerbewegung geprägte Spruch: „Frisch-Frei-Fröhlich-Fromm - ist des Turners Reichtum“ wurde zum Turnerwahlspruch für die sittlich-moralische Grundhaltung der Turner. Aus diesen vier „F“ der Anfangsbuchstaben wurde 1843/46 das heute noch verwendete „Turnerkreuz“, als Logo für den Deutschen Turnerbund, entwickelt.
Das spiegelt sich auch in Lotzdorf in der Gestaltung des Denkmals für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Turner wider. Es wurde in seiner Grundform schlicht gehalten und ist aus Sandstein. Auf einem Sockel steht ein sogenannter „Weihestein“, der die Inschrift trägt: „Zur Erinnerung an unsere gefallenen Turnerbrüder 1914-1918 / Turnerbund Lotzdorf“. Auf eine namentliche Nennung der Gefallenen wurde bewusst verzichtet, da diese auf dem großen Kriegerdenkmal in Lotzdorf mit allen weiteren Opfern erfasst wurden und dort eine Ehrung erhielten (Standort am ehemaligen Freigut). Bekrönt wird der Weihestein durch einen schmückenden Sandsteinaufsatz als dekoratives Gestaltungselement. Dieser zeigt einen Stahlhelm mit Eichenlaub bekränzt, eingebunden das Symbol eines Schutzschildes mit dem Turnerkreuz, gebildet aus den vier „F“. Das Ehrenmal weist mit diesen Symbolen, z.B. dem Stahlhelm, der im Ersten Weltkrieg erstmalig als Neuheit für den Schutz der Truppen eingeführt wurde, dem Eichenlaub, das als Synonym für Männlichkeit, Standhaftigkeit und Sieg steht, und dem Turnerkreuz auf dem Schutzschild, bewusst auf den militärischen Charakter des Gedenksteines hin.
Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges 1918 und der Eingemeindung Lotzdorfs nach Radeberg im Jahr 1920, lebte die Tradition des Turnerbundes erneut in Lotzdorf auf. Im Gasthof Riemer wurden auf der Bühne öffentliche Veranstaltungen und Darbietungen durchgeführt. Aus Anzeigen aus dem Jahr 1923 ist zu ersehen, dass es ein vielfältiges turnerisches Vereinsleben gab: Bühnenschauturnen mit Theateraufführungen, Festbälle mit turnerischen Einlagen, Handball- und Faustballspiele gegen Dresdner Mannschaften, Athleten-Wettkämpfe im Heben und Ringen, Mitwirkung an deutschlandweiten Wettbewerben des Turnerbundes wechselten sich mit geselligen Vereinsfesten ab. Und es existierte auch ein eigener „Turner-Sängerchor Jahn“, dessen Sängerschwestern und -brüder ihre Übungsstunden im Gasthof Lotzdorf und in dem Radeberger Lokal „Harmonie“ abhielten und hier mit Sicherheit auch ihre Stimmen ölten.
Die Ehrungen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges, das Gedenken am Denkmal des Turnerbundes an der Schule Lotzdorf, war zu dieser Zeit eine Selbstverständlichkeit und Teil der kollektiven Bewältigung der Kriegserfahrungen der Überlebenden.
Das alles ist Geschichte.
Nur wenige Meter entfernt von diesem Denkmal pulsiert heute die Gegenwart in ihrer schönsten Form, in der Ludwig-Richter-Schule mit ihrer modernen Turnhalle, die sich auf höchstem Niveau befindet. Sportunterricht für die Schüler und viele Möglichkeiten der sportlichen Betätigung in der Freizeit sind heute Selbstverständlichkeiten geworden. Dienten einst die Körperertüchtigungen nach Vorgaben des Turnvater Jahn vor allem dem völkischen Gedankengut, um sich der napoleonischen Fremdherrschaft zu entledigen, so wird heute, ebenfalls in seinem Sinn und entsprechend seines Leitsatzes: „Frisch-Frei-Fröhlich-Fromm“ außer der körperlichen Fitness auch verstärkt der Gedanke der Freude, des rhythmischen Empfindens, des gemeinsamen Erlebens und der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls vermittelt. Diese Modernität wird als ganz selbstverständlich an dieser Schule praktiziert. Eine Kostprobe davon findet man im Internet unter YouTube in einem im Sommer 2014 entstandenen, einzigartigen und begeisternden Filmdokument der Schule, wo das Erlebnis von fast 300 Schülern in der Turnhalle vermittelt wird, die gemeinsam mit ihrer Musiklehrerin Frau Rattay und Mitgliedern der Schüler-Band das Projekt der Interpretation des „Cup-Song“ in höchster Qualität und Perfektion darbieten.
Diese Interpretation des amerikanischen Kult-Songs, aus dem Film „Pitch Perfect“, ist professionell und lässt das monatelange Üben erahnen und wie viel Training, rhythmisches Empfinden, Fingerfertigkeit und hohe Konzentration zum Gelingen dieses Auftrittes gehörten. Aber auch, wie viel Freude, Begeisterung und Musikalität die Jugendlichen zusammen erlebten. Turnvater Jahn hätte vermutlich nicht schlecht gestaunt, was man in einer Turnhalle alles veranstalten kann und dass die Zeiten der kriegsverherrlichenden und patriotischen Lieder seiner Zeit, wie „Druff wie Blücher“ oder „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“, vorbei sind und einer neuen Zeit, mit lyrischeren Texten und modernen Ausdrucksformen, weichen mussten.
Diese Entwicklung gibt Hoffnung... Und man kann durchaus sagen: Lotzdorf schreibt heute schon Schulgeschichte.
Renate Schönfuß-Krause
www.teamwork-schoenfuss.de
Quellen: „Cup Song Lotzdorf“ auf YouTube (Dieses Video ist als "Privat" kategorisiert worden und nicht mehr verfügbar. Juli 2021)
Gesprächsnotizen: Frau Rattay, M. Horn,