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Die "Lange Aue" in Lotzdorf - früher einfach "Langa" genannt und Badeparadies an der Röder
Die "Lange Aue" in Lotzdorf, nördlich der "Dreihäuser" - einst ein Badeparadies für die Lotzdorfer Kinder - heute Standort des Klärwerkes Radeberg und ein Rest-Biotop auf Lotzdorfer Flur.
Lotzdorf Hundstage an der Langa.pdf
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Veröffentlicht in "die Radeberger"   Nr. 31  v. 5.8.2016                                


Hundstage - Badefreuden an der Langa in Lotzdorf

Wenn die heiße Luft der sogenannten Hundstage, astronomisch begründet und kalendarisch festgelegt auf den 23. Juli bis 23. August, fast unerträglich über den Lotzdorfer Fluren flimmerte, war endlich die ersehnte Zeit für die rund 130 Schulkinder der Lotzdorfer Schule gekommen, die nun von der Plagerei des Schulalltags erlöst wurden. Das Zauberwort hieß „Schulfrei“. Um 1800 und auch später sprach noch niemand von Ferien oder Urlaub, dieses Vokabular war relativ unbekannt. Die „feineren wohlbetuchten Herrschaften“, zumeist aus den Großstädten, fuhren mit ihren Kindern zur Kur, wie das die Lotzdorfer bei den aufgeputzten Kurgästen aus dem nahen Liegau beobachten konnten. „Der kleine Mann“ aus der Arbeiterschaft lernte Urlaub und eventuelle tarifliche Ansprüche darauf erst um 1900 kennen, und die Bauernschaft schuftete ihr Leben lang ohne jegliche Ruhepausen tagtäglich von früh bis spät, auch an Sonn- und Feiertagen. Auch ihre Kinder waren schon beizeiten als Arbeitskräfte in die schweren Tätigkeiten auf Hof, Feld und Wiesen einbezogen. Das „Königliche Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts Dresden“ hatte also diesen Zeitraum der Sommerpause bewusst in die Haupterntezeit gelegt, ansonsten wären viele Schulbänke in den Dörfern unbesetzt geblieben. Da waren die Kinder der Arbeiterfamilien, die sich zunehmend im Zuge der Industriealisierung in Lotzdorf ansiedelten und zumeist in den Bauerngütern preiswert zur Miete wohnten, besser dran. Diese Familien hatte der Aufschwung der Radeberger Industriebetriebe nach Lotzdorf gezogen. Sie lebten zwar alle in bescheidenen Verhältnissen, wohnten mit mehreren Kindern auf engstem Raum, konnten jedoch eine gewisse Freiheit genießen. Ein beliebter Tummelplatz für die Kinder war an der „Langa“, wo man sich gern zum Baden verabredete - wollte man das heute wieder tun, müsste man sehr schnell feststellen, dass kaum noch ein Lotzdorfer weiß, was die „Langa“ ist oder wo sie sein könnte. Dabei war es früher für Jedermann ein Begriff, wenn es hieß „Die Drei-Häuser an der Langa“, „Wir gehen entlang der Langa nach Liegau“ oder „Wir treffen uns an der Langa“. Um es vorwegzunehmen, die Wortbedeutung bezieht sich nicht unmittelbar auf die Röder, obwohl diese als Teilstück dazugehört. Unsere Altvorderen wussten genau, welcher Teil der Röderaue „die Langa“ ist, denn sonst wäre außer der Badefreuden auch manches Rendezvous nicht zustande gekommen. Als „die Langa“ wurde die gesamte Strecke von der Lotzdorfer Brücke (heute Buswendeplatz Tobiasmühle) flussabwärts bis zur Lotzdorfer Mühle, einschließlich des damaligen fast riesenhaften naturbelassenen Auengeländes (heute Klärwerk, AZV „Obere Röder“) bis hinauf zur Straße „An den Dreihäusern“ bezeichnet.

„Die Lange Aue“ (Langa) im Lotzdorfer Röder-Bogen. Li.u.: Brücke zur Tobiasmühle,  re.o.: Rasen-Mühle (Lotzdorfer Mühle), unten Mitte: die „Dreihäuser“ (Q.: SLUB DD Meilenblätter Bl. 258)
„Die Lange Aue“ (Langa) im Lotzdorfer Röder-Bogen. Li.u.: Brücke zur Tobiasmühle, re.o.: Rasen-Mühle (Lotzdorfer Mühle), unten Mitte: die „Dreihäuser“ (Q.: SLUB DD Meilenblätter Bl. 258)

Eine erst kürzlich in der SLUB Dresden, mehr durch Zufall gefundene Landkarte mit dem Dorf Lotzdorf (rechts im Bild) aus der Zeit um 1830 (die jetzige Schule wurde 1884 gebaut und ist noch nicht eingezeichnet), zeigt deutlich die Größenverhältnisse dieses Areals und gibt Klarheit über die zu vermutende Namensentstehung: die Bezeichnung „Langa“ ist aus der offensichtlichen maulfaulen und genuschelten sächsischen Bezeichnung für „Die Lange Aue“, so hieß die große Wiesen- und Auenlandschaft an der Röder mit ihrem Flussabschnitt, entstanden (s. Karten-Ausschnitt).

Hier waren die Sommerfreuden für die Kinder perfekt, denn kein Erwachsener störte ihr Treiben. Die Knaben übten sich in wilden Spielen, bauten sich Flöße, fingen Fische, Krebse, Frösche, Schmetterlinge und Grashüpfer, die Mädchen schlossen sich in Freundinnengruppen zusammen, banden Blumenkränze und tauschten sich mit albernem Kichern ihre Geheimnisse aus. An der Langa herrschte unbeschwertes Glück. Das öffentliche Baden war eigentlich verboten und wurde als unanständig und gefährlich eingestuft, ganz zu schweigen von der Nacktheit. In manchen Gegenden wurde es unter Strafe gestellt. An der Langa badete man „schwarz“, darunter verstand man, dass diese Badestellen entlang der Röder ohne offizielle Erlaubnis benutzt wurden. Freibäder gab es noch nicht. Radeberg hatte 1868 die vier ersten Badeplätze an der Röder abgesteckt, zwei für Männer und Knaben und zwei für Frauen und Mädchen. Selbstverständlich wegen der Sittsamkeit weit voneinander entfernt. Erst 1913 wurde das heutige Stadtbad eröffnet, das Flussbad in Liegau wurde 1922 in Betrieb genommen. Die Röder an der Langa hatte an diesem Flussabschnitt ein breiteres Flussbett als gewöhnlich, mit viel angeschwemmtem Sand am Flussgrund. Das Wasser floss träge dahin, was auch für Nichtschwimmer kaum gefährlich war. Wer tiefere Stellen suchte, fand diese in der Nähe des Mühlgrabens, wo das Wasser angestaut wurde und ideale Voraussetzungen zum Schwimmen bot. Wilhelm von Kügelgen (1802-1867) hat uns in seinem Buch „Lebenserinnerungen eines alten Mannes“ anschaulich einen kleinen Einblick in das Dorfleben der Lotzdorfer Kinder um 1808 gegeben, das er als sechsjähriger selbst erlebte: „Bei schönem Wetter (…) trieben wir uns mit den zugesellten Bauernkindern (…) fast den ganzen Tag im Freien herum. Ich habe von meinen ländlichen Freunden nichts Schlimmeres gelernt, als dass sie etwa die kleinen glatten Schmerlen mit den Händen haschten, sowie die Butterkrebse, ja alle Krebse, die sie fingen, roh und lebendig verzehrten. Sie lehrten auch uns diese Wasserjagd. (…) Das Geschrei der Knaben, der Jubel im Wasser ward immer berauschender, und lockend plätscherte die kühle Welle über die bunten Kieselsteine. Im nahen Holze sammelten wir wilde Beeren, die mit einem Aufguß von frischer Milch zum Abendbrot verschmaust wurden. Wir lagerten dann im Grase um einen mächtigen Holztrog und löffelten mit den Bauernkindern unsere kalte Schale ohne Ekel. Dann fassten wir uns alle an den Händen, drehten uns tanzend in großen Kreisen oder durchzogen in langen Schlangenlinien das Dorf, während die alten Bauern mit ihren Tabakspfeifen schmunzelnd vor den Türen saßen. So lebten wir in Lotzdorf ganz zufrieden (…) bis endlich alle mit Bedauern aus dem kleinen Dörfchen schieden.“

Die Familie des Malers Gerhard von Kügelgen (1772-1820) aus Dresden war mehrere Jahre über den gesamten Sommer zum Kuraufenthalt im „Radeberger Bad“ bei Liegau und logierte in Lotzdorf. So, wie es die Kügelgens praktizierten, kam es ab den 1820er Jahren zusehends in Mode, sich fernab des dünkelhaften Kurbetriebes, der zwischen den adligen und bürgerlichen Kurgästen herrschte, lieber eine ländliche Wohnung in einem Dorf zu mieten. Wir lesen in einer Reisebeschreibung: „Die Gegend hat viele Reize. Auch in dem entfernten Lotzdorf kann man ländliche Wohnungen erhalten (…) man thut daher wohl daran, sich mehrere Monate zuvor Quartier zu bestellen, es ist an den höchst romantischen Ufern des muntern Röderflusses gelegen.“

Das bedeutete jedoch noch nicht, dass sich diese Gesellschaftsgruppe dem Baden im Fluss hingegeben hätte, das wurde zu dieser Zeit immer noch als grober Unfug und Verstoß gegen Anstand und gute Sitten verpönt.

Sommer-Wiese am noch intakten Teil der „Langen Aue“ (Langa)
Sommer-Wiese am noch intakten Teil der „Langen Aue“ (Langa)

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die sogenannte Badekultur für alle Bevölkerungsschichten entdeckt. Man legte verstärkt Wert auf Körperhygiene, und es entstand eine Vielzahl von Badeanstalten mit Umkleidezellen. Der Besuch eines Bades wurde Mode und brachte im Gefolge die kommerzielle Vermarktung von Bademoden und Pflegeartikeln mit sich. Schwimmen wurde zur sportlichen Betätigung. Schwimmclubs, später Schwimmvereine, vermittelten Schwimmtraining, was dazu führte, dass das Baden in den Flüssen, wie an der Langa in Lotzdorf, unattraktiv wurde. Auch der Name des einst beliebten Fleckchens Erde „an der Langa“ fiel nach und nach dem Vergessen anheim. Heute findet man nur noch linksseitig des Weges zur Lotzdorfer Mühle ein beachtliches Biotop an der Langa, über die Ufer der Röder hinaus bis zu den Bauernbüschen auf der gegenüberliegenden, linken Röderseite.

Keine Lotzdorfer Kinder baden und toben hier mehr herum, wie noch vor einhundert Jahren. Dafür findet der interessierte Naturbeobachter kleine Kostbarkeiten auf der „Langen Aue“: Graureiher, Eisvögel, Wildenten, schon selten gewordene Libellenarten, wie die Blauflügel-Prachtlibelle und die Blutrote Heidelibelle, deren Arten gefährdet sind und die sich nur noch an Flüssen mit guter Wasserqualität aufhalten, sowie eine Vielzahl von Insekten und Schmetterlingen.

 

Renate Schönfuß-Krause

www.teamwork-schoenfuss.de

 

 

Quellen:

  • W.A. Lindau: Rundgemählde der Gegend um Dresden, Arnoldische Buch- und Kunsthandlung Dresden 1820
  • Sächsische Landes- u. Universitätsbibliothek: Meilenblätter von Sachsen, Bl. 258 Ausschnitt
  • Johannes Krause: Lebenserinnerungen
  • Robin Brunold: Die Anfänge des Arbeiterurlaubs im Deutschen Kaiserreich, 2013
  • Wilhelm von Kügelgen: Lebenserinnerungen eines alten Mannes, Verlag W. Hertz Berlin,1892