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Neuer Lotzdorfer Gasthof an den Heidehäusern –
ein Kuriosum?
Nein, keinesfalls, wie sich bei Akteneinsichten aus den Jahren 1897-1911 herausstellte.
Unser Stadtarchiv in Radeberg ist für jeden Forscher zur Stadt- oder
Familiengeschichte eine wahre Fundgrube. Und hält immer wieder eine Überraschung bereit. Denn wer weiß heute noch, dass die Radeberger sogenannten „Heidehäuser“, am Stadtrand von Radeberg in
Richtung Dresden gelegen, bis zu ihrer
Vereinigung mit Radeberg ("Einverleibung") im Jahr 1920 zu der eigenständigen Gemeinde Lotzdorf gehört haben? Sicherlich die Wenigsten. Erst ab diesem Zeitpunkt wurden sie zum „Radeberger Bestandteil“. Bei einem Blick auf
alte, seltene und kaum noch vorhandene Gemarkungskarten, die sich in
Privatbesitz befinden, ersieht man die Ausdehnung der Lotzdorfer Flur und ihre interessanten Grenzverläufe. Große Gebiete, die wir alle gern als zu „unserer Stadt Radeberg gehörig“ angesehen
haben, waren in Wirklichkeit bis 1920 Lotzdorfer Gebiet, Lotzdorfer Flur. Auch in verwaltungstechnischer Hinsicht.
Diese Eigenständigkeit des Dorfes hatte nicht nur Auswirkungen auf das Eigentum von Grund und Boden, sondern auch auf die Zuständigkeiten der Ortsverwaltung, des Gemeindevorstandes und die eigene Polizeigewalt. Die Selbständigkeit des kleinen Ortes ging soweit, dass es ab der Gründung der Sozialversicherung (1. Dez.1884) sogar eine eigenständige „Gemeinsame Gemeindekrankenversicherung Lotzdorf und Liegau“ gab. Anschaulich erfährt man diese Besonderheiten u.a. aus archivierten Akten zu dem Vorgang „Gesuch des Radeberger Schankwirts Karl Friedrich Micklich für eine Schankkonzession auf der Parzelle No.101 der Flur Lotzdorf“. Bei der Parzelle 101 handelt es sich um die heutige Dresdner Str. 90 an den Heidehäusern. Bis an den rechten Straßenrand der Heidehäuser in Richtung Dresden reichte die Lotzdorfer Flur, die gegenüberliegende Straßenseite war Radeberger Gebiet.
Im Jahre 1897 stellte Karl Friedrich Micklich, Besitzer des Restaurants „Albertsalon“ auf der Fabrikstraße Nr. 24 in Radeberg, einen Antrag an die Königliche Amtshauptmannschaft zu Dresden-Neustadt. Er bat um die Genehmigung, auf den ihm gehörigen Parzellen Nr.101 und 100 der Flur Lotzdorf einen Neubau errichten zu dürfen, außerdem um die Genehmigung eines Schankwirtschaftsbetriebes mit Branntweinausschank im Parterre des Hauses. Die Schankwirtschaft wollte er mit seinen Kindern betreiben, da ein Sohn Fleischer, der andere Landwirt war. Außerdem plante er, seine Parzellen in weitere fünf Baustellen zu zerlegen und diese für seine „starke Familie“, bestehend aus 3 Söhnen und 5 Töchtern, mit Wohnhäusern zu bebauen. Die Begründung seines Gesuches ist interessant, gibt sie doch Einblick in die damaligen Verhältnisse und Gegebenheiten. Er verweist auf die Lage seines Grundstückes auf der Flur Lotzdorf, an der Dresdner Straße liegend, an der Flurgrenze Radebergs, in kurzer Entfernung zur Dresdner Heide. Die gegenüberliegende Parzelle, auf der anderen Seite der Straße, gehörte zu Radeberg. Dieses Areal sei kürzlich verkauft worden und es sollten in kürzester Zeit 14 Wohnhäuser und 2 Fabriken darauf erbaut werden. Für ihn die Gewissheit für eine lohnende Geschäftstätigkeit. Ebenfalls verweist er auf den bedeutenden Fahrverkehr auf der Dresdner Straße und dass „keine auf der Radeberger Flur an der Dresdner Chausee gelegene Schankwirtschaft einen Halteplatz für Fahrwerke hat“. Diese Möglichkeit zu schaffen, war Schwerpunkt seines Konzeptes, aber auch ein großer Gästegarten mit Kinderspielplatz gehörte zu seinen Planungen, um „das Restaurant als Ausflugsziel für die Bewohner der sich gerade nach der Dresdner Heide zu rapid vergrößernden Stadt Radeberg, des stetig anwachsenden Kurortes Langebrück und anderen umliegenden Ortschaften als Erholungsort...“ attraktiv zu machen. Zu seiner eigenen Person gab er der übergeordneten Verwaltungsbehörde in Dresden folgende Auskunft: Er ist 51 Jahre alt. Seit 20 Jahren Restaurateur in Radeberg, zuerst mit dem Restaurant zum Forsthaus, seit 7 Jahren in dem Restaurant mit Saal zum „Albertsalon“. Als Soldat hatte er am Feldzug 1870/71 teilgenommen, „ich bin auch ein guter Patriot und schon einmal von den hiesigen Sozialdemokraten wegen Verweigerung meines Saales boykottiert worden, wodurch ich großen Schaden erlitten habe. Ich habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen und erfreue mich des besten Rufes.“
Ein Führungszeugnis der Stadt Radeberg bestätigte das ebenfalls, und der zuständige Gemeinde-Rat von Lotzdorf, vertreten durch den Gemeindevorstand Ernst August Hennig, unterstützte weitblickend mit einer positiven Einschätzung das Gesuch des Restaurateurs. Die Lotzdorfer Obrigkeit schien dem Zeitgeist aufgeschlossen gegenüber zu stehen. Aus dem vom Gemeindevorstand ausgefüllten Fragebogen an die übergeordnete Behörde in Dresden ist zu ersehen, dass selbst die knifflige Anfrage, ob für das Schankgewerbe an der Dresdner Straße die polizeiliche Aufsichtspflicht abgesichert werden kann, von der Gemeinde mit „Ja“ beantwortet wurde, obwohl das Grundstück eine halbe Stunde vom Dorf entfernt lag. Auch die Frage, ob ein Bedürfnis einer solchen Lotzdorfer Gaststätte vorliegt, wurde von Gemeinde-Rat und Gutsherrn positiv beschieden und mit der sich rasch entwickelnden Einwohnerzahl und in der Nähe liegenden Fabriken und Bauplätze begründet. Der Schriftwechsel findet seinen Abschluss mit dem Bescheid der Königlichen Amtshauptmannschaft Dresden-N. vom 26. Nov.1897 an die Gemeinde Lotzdorf und der zugestellten Genehmigung vom 14. Januar 1898.
Der Radeberger Restaurateur Micklich begann 1898 sofort mit der Bautätigkeit des geplanten, großen repräsentativen Hauses an der Dresdner Straße. Die Fertigstellung erfolgte noch im gleichen Jahr. Zu der Eröffnung des geplanten Restaurants im Parterre kam es nicht. Begründungen dazu liegen nicht vor, könnten jedoch im Zusammenhang mit der nicht erfolgten Bebauung auf der gegenüberliegenden Radeberger Straßenseite stehen. Als Karl Micklich am 1. Jan.1908 verstarb, erbte seine verwitwete Ehefrau das Haus. Den „Albertsalon“ in Radeberg verkaufte sie an ihren Sohn Martin. Mit ihrem jüngsten Sohn Max, der zur Unterstützung der Mutter seine Anstellung als Konditor in Dresden aufgegeben hatte, stellte sie für das Haus Dresdner Str. 90/Flurbuch Lotzdorf erneut mehrere Gesuche um Schankkonzession an die Königl. Amtshauptmannschaft Dresden-N. Ihr 26-jähriger Sohn Max hatte sich in Lotzdorf Nr. 62 niedergelassen. Er plant den Aufbau einer eigenen Existenz. Der zähe Schriftwechsel wurde mit der Behörde seit 1908 über Jahre ohne Erfolg geführt, obwohl der Gemeinderat von Lotzdorf, als der eigentlich Sachverständige vor Ort, jeden seiner Anträge unterstützte und befürwortete. Schließlich unterbreitete er ein Gesuch für die Eröffnung und Betreibung eines Cafés, aber auch dieses Gesuch wurde mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. Sein eingereichtes Konzept für das Cafe war nicht anfechtbar, auch das Bedürfnis war vorhanden und er konnte auf eine Vielzahl von Zeugnissen, Empfehlungen und Belobigungs-Schreiben verweisen, selbst sein Hinweis „...durch die Abkommandierung während meiner Militärzeit von 1902-1904 im 3.Infanterie-Regiment No.102 als Service-Ordonanz in das Offizierskasino, sowie in den bisherigen Stellungen, war mir Gelegenheit geboten, mich im Umgang mit den hohen und feinen Herrschaften auszubilden“ blieb ohne Erfolg. Sein letzter aktenkundiger Versuch ist seine Beschwerde vom 20. Oktober 1911 an das „Königliche Ministerium des Innern“ in Dresden, wo er versucht, eine Rechtsprechung herbeizuführen. Mit dem Vermerk unter dem Eingangsdatum der Akte: „zurück zur Beurteilung an die Kreishauptmannschaft“ schließt sich der Kreis, endete ein jahrelanger vergeblicher, sicherlich auch nervenaufreibender Kampf gegen vermutliche Behördenwillkür. Die Akte für eine Schankkonzession an den Heidehäusern wurde im Jahr 1911 geschlossen - das schöne Haus in Lotzdorf blieb damit „nur“ ein Mehrfamilienhaus für viele Familien.
Quelle: Radeberger Stadtarchiv, Akte Nr.1238
„Ertheilte Schank-Conzessionen betreffend ab 1863“
Foto: Familie Marquardt, privat
Renate Schönfuß-Krause
25.2.2016
Veröffentlicht in „die Radeberger“ Ausg. 09/2016 v. 4.3.2016