Veröffentlicht in "die Radeberger" Nr. 05 v. 03.02.2017
Wem Lachen und Jubellaute von ganz allein über die Lippen kommen möchten, der besteige einen Schlitten. Das war einst so, und so ist es noch immer. Und seltsamerweise, dieses Wintervergnügen erfasst auch immer wieder alle Generationen, wie man gerade wieder an unseren heimatlichen Hügeln beobachten kann - vom Kleinkind bis zum gesetzteren Alter. Sobald der Schlitten in Fahrt kommt und die Hänge abwärts prescht, erlebt ein jeder dieses Glücksgefühl, und es ist auch schon von Weitem unüberhörbar.
Dank unserer schönen Lage als „bergige Gegend“ hatten die Radeberger und Lotzdorfer in den vergangenen Zeiten schon immer ihre speziellen Rodelgebiete, um dem Wintervergnügen frönen zu können. Erinnert sei nur in Radeberg an die Hänge rund um den Felixturm und das Hüttertal mit der sogenannten Abfahrt „Knochenstampe“ in der Nähe der Hüttermühle, an die Huckel der Kramerwiesen, den Mühlberg mit seiner berüchtigten „Schöppkelle“, wo ganze Generationen so herrlich durch die Luft geschleudert wurden und schon vor dem Unterrichtsbeginn in der „Pesta“(lozzischule) mal schnell jubelnd eine Runde auf dem Schulranzen abwärts rutschen konnten, egal, ob sich dabei der Ranzen mit Schnee füllte und die Schulbücher feucht wurden. Beliebt war von jeher auch Kunats-Berg an der Kleinwolmsdorfer Straße, wo die durstigen Kehlen in dem kleinen, gemütlichen Häuschen am Rande der Piste rote oder grüne Brause-Limonade erwerben konnten, in Flaschen mit Schnappverschluß, von dem älteren Ehepaar Kunat extra für die Kinder angewärmt. Aber auch der „Hauptmann“ mit seiner „Todesbahn“, zwischen Löwenbrücke und Kleinwolmsdorfer Bahnwärterhaus gelegen, war steil und durch den kurzen Auslauf vor der Schwarzen Röder eine echte Herausforderung für ganz Mutige, die nicht ins Wasser fallen wollten. Auch Großmanns Berg an der Ecke der Pulsnitzer Straße zu den Leithen gehörte dazu und schließlich die Hänge in den Leithen selbst, mit ihren langgezogenen Abfahrten auf Lotzdorfer Flur bis zur Großen Röder.
Die Lotzdorfer selbst rodelten vorzugsweise auf den Hängen ihres sogenannten "Gebirges" in Richtung Liegau-Augustusbad, auf „Burkhards Berg“, auch am Silberberg und sogar unmittelbar im Ort. Von „Horns Berg“ aus wurde, zum Ärger der Anwohner, der steile Weg abwärts ins Dorf mit Wasser künstlich vereist. Auf dieser steilen Eis-Piste wurde schnell ein atemberaubendes Tempo erreicht, besonders mit den Schlitten aus Eisenguss, den sogenannten „Käsehitschen“, die klappernd und mit Getöse die Abfahrt nahmen. In voller Schussfahrt musste, kurz vor der Rückseite der Fleischerei Riemer, die scharfe Links-Kurve in die Einmündung des Weges von „Müllers Berg“ geschafft werden, um dann den Auslauf in Richtung Freigut zu erreichen. Fortgesetzt wurde dieser Spaß dann oft auf dem zugefrorenen Teich des Freigutes, wo es sich mit entsprechendem Anlauf und „Bauchklitschern“ auf Schlitten oder Schulranzen, besonders gut rutschen und toben ließ. Eine beliebte Rodelbahn in Lotzdorf war außerdem die Dorfstraße, auf der sich die reifere Jugend der Dorfbevölkerung gern vergnügte.
Noch heute erinnern sich Zeitzeugen, wie einst Anfang der Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihre Eltern mit allen Nachbarn bis in den späten Abend, unter Jubel, die Abfahrt ab dem Gasthof Riemer mit dem Schlitten absolvierten und fast bis zur Lotzdorfer Brücke rodelten. Vorher war eine Straßenseite fleißig mit Wasser begossen worden, um eine Eisbahn zu erhalten. Es gab damals noch wenig Autoverkehr, und die Winter waren im Vergleich zu unseren heutigen Temperaturen extrem kalt, lang und schneereich. Auch war die uns heute so selbstverständlich erscheinende Mobilität mit eigenen Autos, bis Ende der 50-iger Jahre des vorigen Jahrhunderts, noch ziemlich eingeschränkt – es war also nicht üblich und kaum möglich, mal schnell zum Rodeln in Gebirgsgegenden zu fahren. Seinen Spaß musste man sich zu Hause organisieren, und das tat man mit Erfolg.
Frühzeitig und federführend trat dabei schon kurz nach 1900 der „Gebirgsverein für die Sächsische Schweiz / Ortsgruppe Radeberg“ in Erscheinung. Bereits 1908/1909 wurde der Verein zum Initiator und Investor für den Bau einer Rodelbahn in dem Waldgrundstück der sogenannten Eselstrappen. Die Mitglieder des Vereins gehörten zu den Honoratioren der Stadt Radeberg. Sie hatten diese Anregung für den Bau einer Rodelbahn auf ihrer ersten großen Winterwanderung, im Jahr 1908, ins Fichtelberg- und Keilberggebiet erhalten. Die Realisierung dafür wurde umgehend in Angriff genommen.
Als günstigster Standort für das Bauvorhaben wurde das kleine Seitental auf der linken Seite der Röder ausgewählt, das dem Lotzdorfer Freigutsbesitzer Bernhard Maschke (Flurstück 86 / Gemarkung Lotzdorf) gehörte. Ein idealer Standort für eine Neuerschließung hinter der Talmühle, der mit einem aufgeschütteten Starthügel oberhalb an der Wald-Grenze der Kienheide begann, in eine langgezogene Rodelbahn durch den Wald überging, dann in eine Links-Kurve mit vereister Überhöhung und in einem breiten Auslauf auf der großen Wiese vor der Röder endete. Ein zusätzlich erbautes Brunnenhaus ermöglichte die Vereisung der Rodelbahn.
Der Zugang für die Radeberger erfolgte zur Anlage über einen extra erbauten Brückensteg von der Talmühle aus, oder aber von dem oberen Weg am Starthügel (heute von der Gartensparte Eselstrappen in Richtung „Hohle“ bzw. Kienheideweg nach Lotzdorf zu). Bereits ein knappes Jahr nach der ersten Planung der aufwendigen Anlage erfolgte am 21. November 1909 die Eröffnung der Rodelbahn und Übergabe an die Allgemeinheit. Eine Verbesserung erfuhr sie später nochmals mit dem Bau von Masten für elektrische Beleuchtung, die heute noch zu sehen sind. Damit waren auch Veranstaltungen am Abend möglich. Die Rodelbahn erfreute sich großer Beliebtheit bei Jung und Alt, auch aus dem Grund, weil in der Talmühle eine Restauration vorhanden war. Hier konnte man sich aufwärmen und heiße Getränke zu sich nehmen. Die 1793 erbaute Talmühle befand sich seit 1890 im Besitz von Franz Schueller, der aus der Steiermark stammte. Er betrieb in der Talmühle eine Metallwarenfabrik und die Ausflugsgaststätte (Lotzdorf Kat. Nr. 60), die nun auch in den Wintermonaten stark frequentiert wurde.
Die Idee und das Treiben, das sich mit dem Bau der Rodelbahn in den Eselstrappen auf Lotzdorfer Grund und Boden 1909 entwickelte, blieb selbstverständlich nicht unbemerkt. Rührige Geschäftsleute müssen ihre Konkurrenz stets im Auge behalten.
So hielt es auch der Schank- und Landwirt Ludwig Saalbach, damals Besitzer der Hüttermühle. Er griff die Idee des Gebirgsvereins auf, um sich das zu erwartende Geschäft ebenfalls nicht entgehen zu lassen und baute ebenfalls eilig seine eigene Rodelbahn im Hüttertal, die er schon am 19.Nov.1909, zwei Tage vor dem Eröffnungstermin der Rodelbahn Talmühle durch den Gebirgsverein am 21. Nov. 1909, in Betrieb nahm.
Am 24. November überraschte Saalbach bereits mit seiner Rodelbahn Hüttermühle mit der Anzeige „Große Illumination der ganzen Bahn ab abends 9 Uhr ohne Preiserhöhung“.
Auch die Radeberger Putzmacherin Schroder auf der Hauptstraße 3 griff die verheißungsvolle Geschäftsidee des Rodelvergnügens auf und annoncierte am 23. Nov. 1909 in der Radeberger Zeitung geschäftstüchtig ihr Angebot an „Rodel-Mützen“.
Bemerkt werden muss hier noch, dass bereits ab 15. November 1909 Dauerschnee lag.
Die Preise für die Benutzung der Rodelbahn Talmühle waren für Erwachsene 20 Pfg., für Kinder 10 Pfg. pro Tag, bzw. als Dauerkarte von November bis März 1,50 Mark oder 75 Pfg.
Die Erfolgsgeschichte der Rodelbahn Talmühle endete jedoch schon 1914, mit Beginn des Ersten Weltkrieges und der Inflation. Franz Schueller gab die Gaststätte auf und erweiterte dafür zeitgemäß die Metallproduktion. Er wird ab 1914 im Einwohnerverzeichnis der Stadt Radeberg nur noch als Hausbesitzer und Mechaniker geführt.
Da mit dem Wegfall der Gastwirtschaft auch der Rödersteg und mit diesem der bequeme Zugang zur Rodelbahn verschwand, auch die Möglichkeit zum Aufwärmen und geselligen Beisammensein, waren die Besucherzahlen bald rückgängig. Es wurde wieder ruhig an der Rodelbahn in den Eselstrappen. In Betrieb war sie zwar immer noch, aber ihre Glanzzeiten waren vorüber. Die zeitgeschichtlichen Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg mit Inflation, Geldentwertung, hoher Arbeitslosigkeit, Weltwirtschaftskrise,
Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg ließen keinen ungetrübten und durchgängigen Rodelbetrieb mehr aufkommen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 wurden die touristischen Vereine verboten. Damit endeten auch die Aktivitäten des Gebirgsvereins Radeberg. Die Gemeinnützige Baugenossenschaft Radeberg und Umgebung m.b.H. übernahm die weitere Betreuung der Rodelbahn. Vorübergehend kam es zur Wiederaufnahme des Bahnbetriebes, in den 1950-er Jahren erfolgte eine nochmalige Belebung, die Bahn jedoch hatte ihre Popularität verloren. An die einstigen Erfolge der Anfangszeiten konnte nie mehr angeknüpft werden - die Zeiten hatten sich geändert. Heute ist das einstige Areal des Rodelsports mit seiner Geschichte ziemlich vergessen, und die Natur ergreift wieder Besitz von dem Gelände.
Quellen:
Renate Schönfuß-Krause
Januar 2017