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Erster Weltkrieg Gedenken, Erich Kästner, Westfront Ostfront Opfer, Lotzdorf
Erster Weltkrieg Gedenken, Erich Kästner, Westfront Ostfront Opfer, Lotzdorf
Erster Weltkrieg Gedenken, Erich Kästner
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Vier Jahre Mord, und dann ein schön Geläute!   Vier Jahre Mord, und ein paar Kränze heute! Verdammt, wenn ihr das je vergesst!

        

Leicht gekürzt veröffentlicht in "die Radeberger"   Nr. 47 vom 23.11.2018


Diese aufrüttelnden Worte des aus Dresden gebürtigen Schriftstellers Erich Kästner (1899-1974), aus seinem Gedicht „Stimmen aus dem Massengrab“ (1928), müssen einem unweigerlich einfallen, wenn man in diesem November 2018 des vor 100 Jahren beendeten Kriegswahnsinns des Ersten Weltkrieges gedenkt. Kästner wusste, wovon er sprach – er gehörte selbst zu dieser Generation, die er in seinem Gedicht

„Jahrgang 1899“ beschreibt:

„Dann holte man uns zum Militär,

bloß so als Kanonenfutter.

In der Schule wurden die Bänke leer,

zu Hause weinte die Mutter.“

Ich will mit dir nach Vaux und Ypern reisen

und auf das Meer von weißen Kreuzen blicken…

E. Kästner  (Brief an meinen Sohn; Auszug)

 

Unbeschreiblich viele Mütter und Väter weinten, Ehefrauen, Kinder, Bräute und Geschwister. Auch in Radeberg und dem Umland. Das Leid war allgegenwärtig. Es gab wohl fast keine Familien, die in diesen vier Kriegsjahren keine Opfer zu beklagen hatten. Das kleine Dorf Lotzdorf hatte regelrecht „Unter jedem Dach sein Ach“, wenn man die Eintragungen des „Königlich Sächsischen Kriegsarchivs“ mit den entsprechenden Kriegsstammrollen und Todesnachrichten liest, die an das Standesamt zu Lotzdorf mit seinem zuständigem Leiter Hennig übermittelt wurden. Durch Recherchen lassen sich heute noch die schmerzhaften Schicksale der Lotzdorfer Einwohner nachvollziehen. Das Kriegerdenkmal am ehemaligen Freigut Lotzdorf und das Ehrenmal im Gelände der Ludwig-Richter-Schule erinnern die Nachgeborenen zwar an diese Zeit, versehen mit den Namen der Kriegsopfer, ihren Lebens- und Sterbedaten. Und doch bleibt ihr tatsächliches Leiden weitgehend anonym, denn was diese Kriegsopfer wirklich in diesem 1.Weltkrieg erlitten haben, wissen und erahnen nur die Wenigsten. Ihr sinnloser Tod sollte nicht vergessen werden – sollte auch für zukünftige Generationen ein Menetekel an die Nachwelt sein.

Die Kriegsstammrollen geben Auskunft über diese Kriegsopfer, denen nach Ausbruch des 1. Weltkrieges und der Mobilmachung am 1. August 1914 zum Teil nur noch eine kurze Lebenszeit beschieden war, bevor sie „Im Feindesland den Heldentod für Kaiser, Volk und Vaterland“ fanden. Unter der Rubrik „Mitgemachte Gefechte“ werden die Teilnahmen an Schlachten dokumentiert, die einen Eindruck darüber vermitteln, was diese Menschen als Soldaten an verschiedenen Orten der Westfront, ob in Belgien, Luxemburg, Frankreich oder an der Ostfront in Ostpreußen, durchgemacht haben. Es übersteigt zumeist jegliches Vorstellungsvermögen: ständige Truppenverlagerungen, Gewaltmärsche, Stellungskriege, ab 22. April 1915 Gaskrieg, Hunger, Krankheiten und zermürbende unmenschliche Kampfhandlungen mit ununterbrochenem, tage- und nächtelangem Trommelfeuer, Einsatz von Flammenwerfern, Artilleriegeschoßen, die mit hunderten von tödlichen Kugeln ihr Ziel trafen, Handgranaten und Panzern. Der erste technische Krieg ließ nichts an Scheußlichkeiten aus. Bereits in den ersten Wochen trafen die Todesnachrichten im Lotzdorfer Standesamt ein: Bruno Dehmelt war bereits am 5.8.1914 gefallen, Fritz Hartmann wurde seit dem 9.9.1914, der 1. Schlacht von Vitry-le-Francois an der Marne, vermisst und erst am 16.9.1914 durch Franzosen auf dem Schlachtfeld tot aufgefunden, Friedrich Stranowsky war gefallen in Keiberg-Moolen bei Moorslede / Belgien am 27.10.1914, Bernhard Zumpe nach der Schlacht von Tannenberg / Ostpreußen am 3.3.1915, er gehörte damit zu den insgesamt 64.000 gefallenen russischen und deutschen Soldaten in dieser Schlacht. Max Wilhelm Grützner war am 25.1.1915 beim Sturm auf Hurtebise nachmittags 4 Uhr gefallen, ebenso Karl Duntsch, der nächste Max Grützner starb am 25.4.1915 im Schützengraben. Reinhold Max Hennig war seit 13.3.1915 vermisst bei Perthes, am 14.3.1915 tot auf dem Schlachtfeld aufgefunden und musste neben der Gefechtsstellung begraben werden. Er war ein Opfer der berüchtigten Winterschlacht in der Champagne, wo die Deutschen in ihren Stellungen festsaßen. Paul Großmann verstarb am 25.5.1915 beim Untergang eines U-Bootes im Englischen Kanal, Arno Gäbler verunglückte am 9.9.1917 bei einem Flugzeugabsturz. Und so geht es bei den insgesamt 69 Lotzdorfer Kriegsopfern weiter. Spätestens bei den Schilderungen der Verwundungen, die zum Tode führten, begreift man, warum das „Schlachtfeld“ Schlachtfeld genannt wurde.

 

Und wieder mahnt Erich Kästner: 

Über die Schlachtfelder von Verdun
laufen mit Schaufeln bewaffnete Christen,
kehren Rippen und Köpfe zusammen
und verfrachten die Helden in Kisten.
 

 

Oben am Denkmal von Douaumont
liegen zwölftausend Tote im Berge.
Und in den Kisten warten achttausend Männer
vergeblich auf passende Särge.
 

 

Auf den Schlachtfeldern von Verdun
wachsen Leichen als Vermächtnis.
Täglich sagt der Chor der Toten:
„Habt ein besseres Gedächtnis!" 

Auszug aus: „Verdun, viele Jahre später 

 

Auf dem etwa 14 Hektar großen Soldatenfriedhof in Douaumont bei Verdun befinden sich die Gräber von über 16.000 Soldaten.

Auf dem etwa 14 Hektar großen Soldatenfriedhof in Douaumont bei Verdun befinden sich die Gräber von über 16.000 Soldaten.

Oben im Bild das 137 m lange Beinhaus von Douaumont, in dem die Gebeine von über 130.000 nicht identifizierten französischen und deutschen Soldaten aufbewahrt werden.

Kisten mit den Gebeinen nicht identifizierter französischer und deutscher Soldaten, aufgeteilt nach den Fundorten.

 

Im Hintergrund sieht man Bilder der Verschollenen, die Angehörige dort angebracht haben

 

Quellen: www.verdunbilder.de/beinhaus/ 

Eines der letzten Kriegsopfer aus Lotzdorf war der am 29. Oktober im Lazarett Apolda an der Grippe verstorbene Richard Thomas. Er verstarb kurz vor dem Kriegsende, dass am 11.11.1918 proklamiert wurde.

Diese sich nun nach dem Ende des Krieges als erneute Geisel ausbreitende Welle der Spanischen Grippe forderte europaweit die nächsten Opfer, man vermutet 50 Millionen.

Diejenigen, die das Kriegs-Inferno überlebt hatten, kehrten in die Heimat zu ihren Familien zurück. Gezeichnet. Zumeist schweigend. Bis zu ihrem Lebensende nie über ihre Erlebnisse berichtend. Viele kamen gesundheitlich als Krüppel zurück, in ihrer Seele ruiniert, traumatisiert von den furchtbaren Eindrücken. Viele waren gebrochene Menschen. Doch die Ereignisse im November 1918 ließen niemanden zur Ruhe kommen und überschlugen sich regelrecht: Ende des 1. Weltkrieges, November-Revolution, Ende der Monarchie, Ausrufung der Republik am 9. Nov. 1918. Eine aufregende Zeit. Umbruchstimmung. Neue Hoffnungen auf ein besseres Leben. Endlich in Frieden? Nur wenige sahen die neuen Gefahren und gaben, auf Grund ihrer eigenen Kriegserlebnisse, ihrer Besorgnis Ausdruck in ihren literarischen Werken.

Erich Kästner gehörte zu ihnen, wenn er seine Gefühle offenbarte:

 

„Wir haben der Welt in die Schnauze geguckt,

anstatt mit Puppen zu spielen.

Wir haben der Welt auf die Weste gespuckt,

soweit wir vor Ypern nicht fielen.“

Auszug aus "Jahrgang 1899"

In all seinen Gedichten über diese Zeit spürt man seinen maßlosen Zorn, die Enttäuschung über die nur unter anderem Namen immer wiederkehrenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, über die immer wiederkehrende Verdummung der Massen, denen er mit seiner sarkastisch-provokanten Dichtung, aggressiv und gesellschaftskritisch als Warnender, entgegentritt. Wie recht er mir seinen Warnungen hatte, bewies die weitere Geschichtsschreibung… Er war der Empörer, der sich stets gegen eine den Menschen zugrunderichtende Ordnung auflehnte!

Auch in Lotzdorf zog nach den revolutionären Ereignissen des Novembers 1918 eine neue Zeit ein. Die Arbeiterschaft des Dorfes schloss sich dem fortschrittlichen Gedankengut der revolutionären Unruhen an, die sich in ganz Deutschland ausbreiteten. Unter Leitung des Vorsitzenden Leipert beschloss der Gemeinderat am 18. Dezember 1918 die Anerkennung des „Lotzdorfer Arbeiterrates“, der ab sofort mit beratender Stimme an den Gemeinderatssitzungen teilnehmen und seine neuen Ideen einbringen durfte. Eine neue Epoche begann…

 

Renate Schönfuß-Krause 

Lotzdorf-Historikerin

 

November  2018

Quellen: